Ein tolles Stück Normalität

Der Wert einer Wohnküche ist vor allem dann nicht zu unterschätzen, wenn sie von einer Wohngemeinschaft besiedelt wird. Sie ist Dreh- und Angelpunkt für Gemeinsamkeit, für den Plausch und für die nötige Planung. Im Nüblingweg 2 und 4 hat die ulmer heimstätte ganz besondere Wohn-Perspektiven eröffnet.

Zunächst eine Umstellung

Das Zentrum in der „WG“ mit der Hausnummer 2 ist: natürlich ein großer Tisch! Dessen Mitte wird bei unserem Besuch ausgefüllt von einem imposanten Tulpen-Strauß, der den stimmungsvollen Farbtupfer in einem ansonsten eher sachlichen Ambiente bildet, mit Küchenzeile und schicker Couch. Es ist Feierabend, und ein Teil der Bewohner ist schon zu Hause, bereit, ein wenig zu plaudern über das erste Jahr in neuer Umgebung und zu viert.
„Das war schon eine Umstellung“, meint Margot S. (alle Namen geändert). Nicht alle Bewohner kannten sich vorher bereits näher, und wie in einer WG üblich, kristallisierten sich bald unterschiedliche Vorstellungen heraus über so alltägliche Fragen wie die, wo was wann hingehört. Da habe sie es schon mal poltern lassen, wenn ihr die Unordnung zu groß wurde, räumt die Bewohnerin lachend ein. Offensichtlich mit Erfolg.
Nun muss man wissen, dass der Hauptmieter der geräumigen Wohnung(en) der RehaVerein für soziale Psychiatrie Donau-Alb e.V. ist – und die WG, durch die sozialpolitische Brille betrachtet, ein Inklusionsprojekt. „Ein hervorragendes Beispiel dafür“, präzisiert Gerhard Haag, der Leiter der Einrichtung. Gelegen mitten in der Stadt und in einem attraktiven Wohngebäude mit wunderbar gemischter Mieterstruktur: „Ein Ausdruck von Normalität.“ Einer Normalität allerdings, wie sie sich längst noch nicht überall durchsetzen konnte.
Unsere Genossenschaft hat dazu das ihrige beigetragen. So sind die beiden Wohnungen von vornherein vom Zuschnitt her nicht nur „WG-tauglich“ geplant, sondern überdies barrierefrei, ausgerichtet auf Rollstuhlfahrer als möglichen Mietern.

Sozialarbeiterin Elke Motzer unterstützt die insgesamt acht Bewohner bei der Alltagsbewältigung. Sie ist Ansprechpartnerin, ein paar Mal die Woche selbst vor Ort, ansonsten immer auf dem Handy zu erreichen. Auch weitere wichtige Nummern haben alle parat. Ein fixer Termin ist die „Donnerstagsbesprechung“. Die WG versammelt sich dann an ihrem kommunikativen Mittelpunkt, um mögliche Probleme oder so triviale Dinge wie den Dienstplan zu besprechen. Wer ist die kommende Woche fürs Badputzen zuständig? Wann wird mal wieder gemeinsam gekocht? Wer braucht Nachhilfe, um das Mülltrenn-Abitur zu bestehen? Das Plenum hat sich im Übrigen gegen einen Fernseher im Gemeinschaftsraum ausgesprochen und stattdessen für ein Radio. Von ihren Hobbys her betrachtet, sind sie wiederum ein wahrlich bunter Haufen. S. filzt mit Begeisterung Schlüsselanhänger, Bernd K. hört gern klassische Musik, Jörg B. spielt im Verein Tischtennis. Alle sind sie so um die 30.

Die Terrasse ist wie Urlaub

Die Mietergemeinschaft im Nüblingweg hat gut zueinander gefunden. Besonders die beiden Wohngemeinschaften pflegen einen regen Austausch, doch auch zu anderen Mietern konnten Bande geknüpft werden. S, die Gesprächige in der WG, sagt, sie könne sich eine andere Wohnform gar nicht mehr vorstellen. Klar sei das anfangs für sie eine ziemliche Umstellung gewesen. Vorher wohnte sie in der Oststadt im fünften Stock, jetzt in der Weststadt und im Parterre. Gut, aber wo liegt der Knackpunkt?
Als solchen führt sie die Terrasse an, welche die WG sogleich zu ihrem zweiten Gemeinschaftsmittelpunkt erkoren hat bei schöner Witterung. So angenehm das ist, so anstrengend kann dies sein: „Ich fühlte mich da anfangs schon wie auf dem Präsentierteller“, erzählt S. Da der vorige Sommer lang und sonnenreich war, habe sie sich eine gute Bräune geholt beim Chillen auf dieser Bühne. Und das wiederum löst bei ihr heute eindeutige Assoziationen aus: „Unsere Terrasse, das ist wie Urlaub.“ Aber da ist es schließlich ja auch egal, wenn da mal jemand auf den Teller guckt.

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